SaferSex mit DiscoRock


Gerade jüngere Leute scheren sich immer weniger um die Gefahren von Aids.
Die Musiker von THE SMU und die AIDS-Hilfe Köln e.V. wollen das nicht länger hinnehmen.

Der Kinosaal taucht sich in Dunkelheit, langsam verstummt auch das heillose Durcheinander des Stimmengewispers
in den Sitzreihen. Popcorn. Cola. Nachos. Echtes Kinofeeling.
Die Zuschauer im Kinosaal des Kölner Filmhauses erwarten den „SMUvie“, eine Dokumentation des Filmemachers Holger Meyer über die Kölner Band THE SMU. Doch bevor die DiscoRocker vom Rhein die Leinwand erobern, singen und tanzen afrikanische Migrantinnen und Migranten im Bild. Der Vorfilm ist ein Videoclip, den junge Menschen aus Afrika im Rahmen eines medienpädagogischen Projektes zum Thema Aidsprävention gedreht haben.

Aids ist ein Thema. Nicht nur im fernen Afrika, nicht nur für Migranten, sondern auch in Deutschland. Nach wie vor. Für alle. Alleine im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres haben sich laut Robert-Koch-Institut knapp 1.200 Menschen mit dem HI-Virus in Deutschland angesteckt. Alarmierend ist daran nicht nur die bloße Zahl, sondern vor allem die Tatsache, dass die Ansteckungen wieder mehr werden: In Köln zum Beispiel hat sich nach Angaben der AIDS-Hilfe Köln die Zahl der neu festgestellten HIV-Diagnosen von 2001 bis Ende 2006 verdoppelt. Nach wie vor sind schwule Männer mit 62 Prozent die größte Gruppe, aber schon auf Platz zwei kommen direkt dahinter die Heteros. Seit 1982 sind alleine in Köln rund 1.000 Menschen an Aids gestorben.
Besorgniserregend ist: Gerade bei den Jüngeren steigen die Infektionen mit dem tödlichen Virus wieder. Aids scheint bei ihnen oftmals kein Thema mehr zu sein, wird gar als „Modekrankheit“ der 80er- und 90er-Jahre abgetan. Vorbei die Zeiten, als prominente Aids-Opfer für eine Welle der Solidarität und Aufmerksamkeit sorgten: Freddie Mercury, der Sänger der britischen Rocklegende Queen, starb 1991, der amerikanische Schauspieler Rock Hudson 1985, die Tennisprofis Michael Westphal und Arthur Ashe 1991 und 1993.
Heute ist es um die Immunschwächekrankheit merkwürdig still geworden. Allenfalls das ferne Schwarzafrika kommt mit seinen exorbitanten Aids-Infektionsraten ab und an in den Abendnachrichten vor, und auch das nur als brennendes Problem, das die Entwicklungsländer haben. Aber doch nicht die Industriestaaten? Oder? Wie sonst es ist zu erklären, dass in einer Umfrage unter deutschen Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren jeder fünfte Befragte zum Besten gibt, einem HIV-Positiven könne man „die Krankheit doch ansehen“.
„Aufklärungsarbeit ist also auch im Jahre 2007 dringend nötig“, sagt Heidi Eichenbrenner, stellvertretende Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Köln. „Gerade bei jungen Leuten.“ Heute wüssten die meisten, dass Aids besser behandelbar sei. Mit der Folge, dass die Krankheit nicht mehr sichtbar sei und viele glaubten, damit müsse man sich nicht mehr auseinandersetzen. „Ein Trugschluss“, sagt Eichenbrenner, „denn die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten sind keine Heilmittel und auch heute ist eine HIV-Infektion eine schwere seelische und körperliche Belastung, an der man lebenslang schwer zu tragen hat.“

Seit über 20 Jahren bietet die AIDS-Hilfe Köln e.V. Beratung, Begleitung und betreute Wohnmöglichkeiten für bereits Erkrankte an. Besonders wichtig aber ist die Präventionsarbeit, damit es erst gar nicht zu einer Ansteckung kommt: Ein Beispiel ist die 2006er-Kampagne „Mit allen Sinnen gegen Aids“, die sehr erfolgreich lief. Die Mitarbeiter der AIDS-Hilfe gehen auch zu Schulen, Diskotheken und Jugendtreffpunkten. Online kann man sich direkt beim Dachverband unter www.dah.de oder telefonisch unter der Nummer 19411 informieren. Dennoch: Prävention ist auf Appelle angewiesen, und die gehen oft so schnell zum linken Ohr rein wie sie zum rechten wieder rausgehen.
Eine Möglichkeit, junge Ohren für das Thema zu öffnen, bietet Musik. Die Kölner Band THE SMU engagiert sich daher in der Aidsprävention. Schon zu ihrem Geburtstagskonzert im Kölner HardRockCafé im März dieses Jahres waren Ehrenamtliche der AIDS-Hilfe dabei, um Infomaterial zu verteilen und mit den Fans ins Gespräch zu kommen. Die Zielgruppe der fünf SMUs um Sänger U, Gitarrist Ben Martin, Bassist DanU, Keyboarder Steve Smith und Schlagzeuger Mr. X ist zwischen 15 und 30 Jahre alt – also genau in jener Altersgruppe, die von Aids oftmals nicht mehr weiß, als dass es sich dabei um eine Krankheit mit tödlichem Verlauf handelt.
„Musik ist kein erhobener Zeigefinger, sondern öffnet die Ohren“, sagt Gitarrist Ben Martin. Es geht vor allem darum, den Jüngeren unter den Jungen zu zeigen, wie sie sich schützen, etwa mit Kondomen. Überraschend ist nur, welche Fragen mitunter gestellt werden. „Wo bekommt man Kondome?“ Und: „Sind zwei Kondome übereinander nicht noch sicherer?“ Nein, das sind sie nicht, weil sie sich durch die Reibung gegenseitig beschädigen können. Fragen, die sich viele im Kopfe stellen, aber nur selten zu fragen trauen.
Über ein solches Thema offen zu sprechen, ist nämlich für Jugendliche oft peinlich. Der Rahmen eines Rockkonzertes reißt die Mauern der Peinlichkeit aber ganz gut runter. Jugendliche sind bester Laune, Sex and Rock’n Roll werden einmal von einer anderen Seite beleuchtet. „Die ganze Leichtigkeit unseres Musikstils DiscoRock verträgt sich gut mit dem etwas schwereren Thema Aids“, sagt auch Sänger U. „Wir kommen noch an jüngere Leute ran“, bestätigt Mr. X, der Drummer der Band, die ihr Debütalbum „DiscoRock“ im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht hat.

Die Musik der fünf SMUs ist eine eingängige Mischung aus tanzbaren Disco-Grooves, rockigen Riffs und mehrstimmigen Gesangsarrangements. Richtiges Futter also, um in einer entspannten Atmosphäre ein ernstes Thema anzusprechen. Bei dem Pilotversuch soll es nicht bleiben: „Wir denken, dass unsere Musik ein echter Türöffner bei Jugendlichen sein kann“, sagt Bassist DanU. Vielleicht auch ein vorbildliches Modell für weitere Kooperationen zwischen Kölner Künstlern und der AIDS-Hilfe.

Martin Benninghoff